Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe

Wohneinrichtungen oder Werkstätten für behinderte Menschen sollen geschützte Orte sein, in denen Menschen mit Behinderungen beschützt leben und arbeiten können. Sie schützen jedoch nicht (ausreichend) vor Gewalterfahrungen.

Im Gegenteil: Frauen mit Behinderung, die in Einrichtungen leben, erfahren oftmals häufiger Gewalt als Frauen, die im eigenen Haushalt leben. Das gilt insbesondere für Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen.

Diagramm: Zahlen über Gewalt an Frauen

Wie in diesem Diagramm (oben) ersichtlich, bedeutet dies in Zahlen:

  • Bis zu 90 Prozent der Frauen aus Wohneinrichtungen erleben psychische Gewalt gegenüber 77 Prozent der Frauen mit Behinderung in der eigenen Wohnung (und 45 Prozent der Frauen ohne Beeinträchtigungen).
  • Bis zu ungefähr 70 Prozent erfahren Frauen aus Wohneinrichtungen körperliche Gewalt gegenüber 62 Prozent der Frauen mit Behinderung in der eigenen Wohnung (und 35 Prozent der Frauen ohne Beeinträchtigungen).
  • Bis zu ungefähr 40 Prozent erleben Frauen aus Wohneinrichtungen sexualisierte Gewalt gegenüber 27 Prozent der Frauen mit Behinderung in der eigenen Wohnung (und 13 Prozent der Frauen ohne Beeinträchtigungen).

Die Fakten sprechen für sich.

Dringender Handlungsbedarf

Es besteht dringender Handlungsbedarf zum Schutz vor Gewalt in allen Einrichtungen der Behindertenhilfe!

Unabhängiger Überwachungsmechanismus

Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet in Artikel 16 alle Vertragsstaaten, Menschen mit Behinderungen vor Gewalt zu schützen.

Der Ausschuss der Vereinten Nationen hat Deutschland in seinen Abschließenden Bemerkungen zur ersten Staatenprüfung aus dem Jahr 2015 unter anderem dazu aufgefordert, einen unabhängigen Überwachungsmechanismus zum Schutz vor Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe einzurichten.

Auch innerhalb von Einrichtungen muss es einen unabhängigen Beschwerdemechanismus geben.

Leitlinien und Schutzkonzepte

In jeder Einrichtung sollte es zudem Leitlinien zum Umgang mit Gewalt und Schutzkonzepte gegen Gewalt geben. In einigen Bundesländern sind Wohneinrichtungen bereits verpflichtet, solche vorzuhalten. Weibernetz hat eine Checkliste zum Erstellen entsprechender Leitlinien erstellt.

Wirksame Gewaltschutzkonzepte in Einrichtungen werden am besten in einem Top-Down-Prozess erarbeitet. Das heißt: Die Einrichtungsleitung muss ein entsprechendes Konzept wollen und dies gemeinsam mit allen Ebenen erarbeiten und durchsetzen. Dabei sollten die Selbstvertretungsorgane wie Werkstatträte, Bewohnerräte und Frauenbeauftragte unbedingt einbezogen werden.

Frauenbeauftragte in Einrichtungen

Frauenbeauftragte in Einrichtungen nehmen eine spezielle Rolle im Umgang mit Gewalt in Einrichtungen wahr. Seit 2017 muss es in jeder Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) mindestens eine Frauenbeauftragte aus dem Kreis der Beschäftigten geben. In einigen Bundesländern gilt dies auch bereits für Wohneinrichtungen.

In der WfbM ist ihre Aufgabe in der Werkstättenmitwirkungsverordnung klar geregelt. Demnach sind Frauenbeauftragte in WfbM insbesondere Interessenvertreterinnen für den Themenbereich Gewaltschutz.

Das heißt jedoch nicht, dass dem Gewaltschutz in Einrichtungen genüge getan ist, weil es ja jetzt Frauenbeauftragte gibt! Die Frauenbeauftragten müssen einbezogen werden, wenn Gewaltschutzmaßnahmen getroffen werden.

Sie sind nicht dafür zuständig!

Täterkonzepte

Es braucht Konzepte zum Umgang mit Täter_innen, insbesondere auch für Täter_innen aus dem Kreis der Bewohner_innen und Beschäftigten. Denn es ist keine Lösung, sie „einfach“ in eine andere Gruppe zu versetzen.

Vernetzung mit dem Hilfesystem

Der Umgang mit (sexualisierter) Gewalt gehört in der Regel nicht zu den Kernkompetenzen von Einrichtungsleitungen und Mitarbeiter_innen. Sie haben andere Kompetenzen.

Die Mitarbeiterinnen im ausdifferenzierten Hilfesystem mit Frauennotrufen, Interventionsstellen und Frauenberatungsstellen sind spezialisiert auf die Herausforderungen, die (sexualisierte) Gewalt im Alltag mit sich bringt.

Deshalb ist es sinnvoll, als Einrichtung mit dem Hilfesystem vernetzt zu sein, in kommunalen Runden Tischen gegen Gewalt oder als Einrichtung mit einer Beratungsstelle vor Ort. Am besten bereits präventiv.

Frauenberatungsstellen beraten sowohl zum Gewaltschutz als auch im Falle notwendiger Interventionen.



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