Barrieren

Frauen mit Behinderungen weisen seit nunmehr 40 Jahren auf bestehende Barrieren in dem frauenspezifischen Bereich der gynäkologischen Versorgung hin. Eine Versorgung, auf die Frauen und Mädchen völlig unabhängig von Krankheit oder Behinderung allein aufgrund ihres (biologischen) Geschlechts einen Anspruch haben.

Aus Sicht von Frauen mit Behinderung lassen sich hier fünf Problemfelder identifizieren:

1. Räumliche, technische sowie kommunikative Barrieren

  • Für mobilitätseingeschränkte Frauen und Mädchen entstehen Barrieren zum Beispiel durch Stufen und Treppen, zu geringe Türbreiten, fehlende rollstuhlgerechte Toiletten, zu kleine Aufzüge, Behandlungszimmer oder Umkleiden, nicht höhenverstellbare Untersuchungsliegen oder -stühlen. Hinzu kommen fehlende Rollstuhlparkplätze in der Nähe oder die Anbindung an einen barrierefreien Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
  • Für blinde Frauen fehlen taktile oder akustische Informationen zur Orientierung, für sehbehinderte Frauen und Mädchen zudem eine kontrastreiche und ausreichend große Beschilderung auch im Außenbereich, sowie eine gute Beleuchtung und die Kenntlichmachung von großen Glasflächen.
  • Für Frauen und Mädchen mit einer Hörbehinderung sind schallharte Räume ein Hindernis bei der Kommunikation. Darüber hinaus stellen fehlende visuelle Signale und fehlende Möglichkeiten der nicht-sprachlichen Terminvereinbarung eine Barriere dar, gleiches gilt für gehörlose Frauen und Mädchen, die darüber hinaus auf Angaben über die Möglichkeit der Nutzung der Gebärdensprache angewiesen sind.
  • Frauen mit Lernschwierigkeiten (sogenannter geistiger Behinderung) brauchen eine einfache Sprache sowie Piktogramme.

2. Strukturelle Barrieren

  • Dies sind zum Beispiel zu enge zeitliche Vorgaben. Die Behandlung von Frauen und Mädchen mit Behinderung benötigt oft mehr Zeit, die einheitlichen Bewertungsmaßstäbe (EBM) und somit die Vergütung orientieren sich jedoch an der Versorgung von Menschen ohne Behinderung. Ein anderes Problem sind eng gefasste Vorgaben für die ambulante Behandlung an Kliniken – hierfür wird eine Behandlungsermächtigung benötigt, die nur stark eingegrenzt vergeben wird. Eine Klinik, die Rollstuhlfahrerinnen ambulant behandeln darf, darf nicht auch Frauen mit Lernschwierigkeiten behandeln.
  • Die Angaben der Arztauskunft zu Barrierefreiheit sind nicht einheitlich, zu wenig differenziert und beruhen häufig auf Selbstauskunft der Praxen. Nicht selten stellt sich vor Ort heraus, dass sie nicht zuverlässig sind, das Aufsuchen der Praxisräume oder die Untersuchung als solche doch sehr erschwert, wenn nicht sogar gänzlich unmöglich ist.

3. Einstellungsbarrieren

  • Sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei Therapeutinnen und Therapeuten bestehen Vorurteile in Bezug auf eine gelebte Sexualität. Diese scheint immer noch ein Tabuthema zu sein. Auch eine Elternschaft / Mutterschaft von Frauen mit Behinderung wird zum Teil immer noch kritisch gesehen. So wurde (und wird) Frauen mit Lernschwierigkeiten auch von Ärztinnen und Ärzten oftmals von einer Schwangerschaft abgeraten, oder sie werden von den Vorteilen einer Sterilisation „überzeugt“.
  • Gängige Anforderungen an eine informierte Entscheidung werden nicht beachtet / nicht eingehalten. Es wird über die Köpfe der Patientinnen hinweg entschieden. Dies gilt insbesondere bei Frauen und Mädchen mit Assistenz oder mit Unterstützungsbedarf sowie bei Frauen und Mädchen mit Lernschwierigkeiten.
  • Medizinische Standards, die sonst gelten, sind außer Kraft gesetzt. So wird die Dreimonatsspritze aufgrund der hohen Nebenwirkungen in der Regelversorgung selten verschrieben – im Unterschied dazu ist sie für Mädchen und Frauen mit Lernschwierigkeiten oft noch die Regel. Auch eine Sterilisation wird bei Mädchen und Frauen mit Lernschwierigkeiten deutlich häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt durchgeführt.

4. Fehlende Fachkenntnisse

  • Es fehlen medizinische Fachkenntnisse (zum Beispiel in Bezug auf Schwangerschaft mit einer Querschnittlähmung, oder zu Wechselwirkungen zwischen behinderungsbedingten Medikamenten und zum Beispiel Kontrazeptiva).
  • Auf Seiten des Fachpersonals bestehen Unsicherheiten im Umgang mit Frauen und Mädchen mit Behinderung.

5. Informationen sind nicht barrierefrei

  • Die Webseiten von zum Beispiel gynäkologischen Praxen sind meist nicht barrierefrei, weder Informationen über Sprechzeiten noch Leistungsangeboten sind so zugänglich.
  • Informationsmaterial wie zum Beispiel Flyer oder Broschüren und Internetseiten zu zum Beispiel Schwangerschaft und Geburt, sind für Mädchen und Frauen mit einer Sinnesbehinderung sowie für Mädchen und Frauen mit Lernschwierigkeiten häufig nicht zugänglich.

Zum Nachlesen

Abschlussbericht zum Vorhaben „Evaluation von Spezialambulanzen und gynäkologischen Sprechstundenangeboten zur gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgung von Frauen mit Behinderung" der Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Arbeitsgruppe 7 – Umwelt und Gesundheit, Prof. Dr. Hornberg, Claudia et al (2019), Bielefeld:

Beispielhafte Webseiten zu barrierefreien Arztpraxen



Dieser Artikel ist verschlagwortet mit:

Zurück